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Das bin ich...

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Foto: Sebastian Linda

Das auf der Homepage war meine „offizielle“ Künstlerbiographie. Aber hier werde ich einfach mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern. 2022/23 war eine schöne Spielzeit. Ich durfte den Bühnenabschied von Simon Estes an der Des Moines Metro Opera feiern. Diese Legende ist nach all den Jahren ein gütiger, herzlicher Mensch geblieben. Man lasse sich aber durch seinen Gehstock nicht täuschen. Dr. Estes ist nach wie vor ein forscher Bursche.

 

Ich befinde mich gerade mitten in einem Trio von zeitgenössischen Opern von Komponistinnen. Die erste war Omar von Rhiannon Giddens und Michael Abels. Wie unvergesslich es war, Rhiannons Tanzpartner auf der Probebühne zu sein, als sie ihre Schuhe ausgezogen hat, um uns den Tanz- und Erdboden von South Carolina, ihrer Heimat und dem Spielort der Oper, nahezubringen. Am Tag nach unserer Dernière an der Boston Lyric Opera gewann Omar den Pulitzer Prize. Wir waren alle beflügelt.

 

Die zweite Oper war eine sogenannte „Workshop“-Produktion von She Who Dared von Jasmine Barnes und Deborah D.E.E.P. Mouton am American Lyric Theater in New York City. In dieser nagelneuen Oper geht es um die kühnen Frauen, die für Rosa Parks den Weg gebahnt haben. Unvergleichlich war es, jeden Probentag mit einem Ensemble von neun fantastischen Afroamerikanerinnen zu verbringen. Deren Energie möchte ich gerne einwecken und überall mit mir führen.

 

Die dritte Oper ist Jeanine Tesoris BLUE an der New Orleans Opera im November 2023. Jeanine ist eine meiner Heldinnen und das Libretto schrieb mein lieber Freund Tazewell Thompson, der bei meiner Porgy und Bess Produktion in Des Moines Regie geführt hat. Jahre ist es her, seitdem ich das letzte Mal in New Orleans war. Das neue Gesicht dieser außergewöhnlichen Stadt wird mich zweifelsohne inspirieren…mir das Herz aber auch ein wenig brechen.

 

Diesen Herbst darf ich auch bei dem Wheeling Symphony Orchestra (WSO) in West Virginia gastieren—da wo der österreichisch-jüdische Komponist Walter Bricht (1904–1970) im Exil lebte, nachdem er 1938 vor den Nationalsozialisten geflohen ist. Sein 2. Klavierkonzert wurde damals von den Spielplänen gestrichen, obwohl seine Musik seit vielen Jahren sehr beliebt im deutschsprachigen Raum war. Es schlummert unberührt seit fast hundert Jahren, inzwischen im Exilarte Zentrum für verfolgte Musik in Wien. Am 19. Oktober 2023, zusammen mit Pianist Dominic Cheli und dem WSO, das auf den „Violins of Hope“ spielen wird, küsse ich dieses Dornröschen endlich wach.

 

Ich kehre dann zurück nach Deutschland für die FKP Scorpio Produktion von Aida. Premiere ist am 2. Februar 2024 in der Barclays Arena in Hamburg und anschließend gehen wir damit auf Tour u.a. nach Berlin, Stuttgart und München. Die Produktion wird sinnlich und  überdimensional, gleichermaßen faszinierend für Operngänger und First-Timer.

 

Nach der Tournee geht ein längst ersehnter Traum in Erfüllung: Ich gebe mit der Fritz-Reuter-Bühne (FRB) in Schwerin mein Debüt als Regisseur. Das Stück, Erwin und Elmire, habe ich frei nach Motiven aus Goethes gleichnamigen Singspiel selbst geschrieben. Schließlich habe ich mehr Stunden auf Probebühnen verbracht als an jedem anderen Ort auf dieser Welt und ich durfte dabei das Handwerk diverser Regieteams genaustens beobachten. Ich freue mich schon darauf, alles, was ich bei ihnen gelernt habe, dort umzusetzen. Mein allererstes Projekt in Schwerin war übrigens mit der FRB und ich freue mich, meine Zeit in der traumhaften Hauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns mit denselben wunderbaren Künstler*innen abschließen zu dürfen.

 

Im Oktober 2024 gibt es ein weiteres großes Ereignis. Ein traditionsreiches Theater hat mir und zwei Kollegen ein großes Musiktheaterstück in Auftrag gegeben. In diesem Künstlerkollektiv mitzuwirken war der Höhepunkt meiner Karriere und die Produktion wird ein Augen- und Ohrenschmaus. Details werden demnächst bekanntgegeben…

 

Nun endlich die großen Neuigkeiten: Zur Spielzeit 2024/25 hat mich die Staatsoperette Dresden als Chefdirigent berufen. Die Geschichte des Hauses, das in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs begann, im Stadtteil Leuben sich jahrelang durchsetzte und 2016 endlich in ein neues Theater mitten in der Stadt einziehen durfte, fasziniert mich außerordentlich. Die Staatsoperette rief mich letztes Jahr im Herbst für ein Gastdirigat an; ich lernte die Intendantin Kathrin Kondaurow kennen und war neugierig, was mich erwartet. Spätestens als ich das Orchester und das Ensemble kennenlernen und eine Vorstellung an der neuen Spielstätte im Kraftwerk Mitte dirigieren durfte, hat das Haus mein Herz endgültig erobert. Während meiner Zeit als Künstlerischer Leiter des Werkstattorchesters an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ Dresden habe ich die wunderschöne Elbflorenz lieben gelernt und ich freue mich darauf, meinen Lebensmittelpunkt dorthin zu verlegen.

 

Apropos Hochschule: Unterrichten stellte in den letzten Jahren einen wichtigen Bestandteil meines Lebens dar. Ich unterrichtete regelmäßig in den Musikhochschulen in Leipzig und Hamburg und als Gast in Boston und Washington, DC. Besonders bedeutungsvoll waren meine acht Jahre am Salzburg Institute of Religion, Culture & the Arts, wo ich bis zu 25 deutsch- und englischsprachige Vorträge halten durfte—alles in nur vier unglaublich vollen Sommerwochen. Wie mein Hirn aufflammte!

 

Aber kurze Rückblende: Bevor ich 2022/23 freischaffend geworden bin, verbrachte ich zehn Spielzeiten als festes Mitglied der Theaterlandschaft—als 1. Kapellmeister am Theater Nordhausen (mit dem Loh-Orchester Sondershausen) und als Solorepetitor und Kapellmeister am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin. Das waren herrlich volle und intensive Jahre mit viel Standardrepertoire (Rigoletto, Der fliegende Holländer, Zarewitsch, Nussknacker, usw.) und mit vielen neuen Werken, wie z.B. Jutta Ebnothers Ballettabende Shakespeare und Die Schöpfung. Letzteres war besonders einprägsam für mich. Ich leitete das Orchester im Graben vom Hammerflügel aus, die Chöre standen in zwei Ebenen in den Seitenlogen und die drei Solist*innen sangen auf der Bühne in Kostüm mit dem Ballett. Sie haben sogar beim Singen Hebefiguren gemacht. Es war ein wahres Spektakel. Und es ward Licht…

 

Ich schrieb auch sehr viel Schauspielmusik und Lieder für die drei Sprechtheater-Sparten am Mecklenburgischen Staatstheater. Ich durfte Musik unter anderem zu Hexenjagd, Frühstück bei Tiffany und Pelle der Eroberer beitragen. Für die FRB habe ich sogar Mozarts Bastien et Bastienne umkomponiert und die Musik durch eine Art Stil-Prisma geworfen. So durfte der Zwölfjährige allerlei Stilrichtungen kennenlernen, die ihn sicherlich fasziniert hätten—von Tango und Klezmer über Ragtime und Reggae bis auf Gospel und Blues. Wolfgang, das ist Boogie-Woogie; ein bisschen wie Alberti-Bass, nur besser. Der Mäzen dieser ersten Mozart Oper war übrigens damals Familienfreund Dr. Franz Anton Mesmer, der in ganz Europa berühmt und berüchtigt wurde durch seine magnetischen Heilmethoden, durch die angeblich die Blinden sahen, die Stummen sprachen und die Lahmen gingen. Despina parodiert ihn im Finale I von Così fan tutte. Und wer schon einmal „mesmer-isiert“ wurde, kennt auch den guten Dr. Mesmer.

 

Das ist mein Musizieren. Wenn ich nicht gerade musiziere, sitze ich am See. Ich spaziere im Wald. Ich weile in Museen und Archiven. Ich falte Origami. Ich lese Schiller und Kafka und Kleist auf meinem Fensterbrett. Ich beobachte die Spinne, die Nacht für Nacht ihr Netz repariert, egal wie oft der Regen es auseinanderreißt. Ich höre Sprachen, die ich nicht ganz beherrsche. Ich sinniere über Mathe und Astrophysik und Quantentheorie. Und jedes Mal, dass ich an meine Grenzen stoße, verfeinern sich meine Fragen. Ich beobachte die Menschen. Ich versuche, gütig zu sein. Und ich koste die Stille aus, die den Klang umgibt.

16.09.2023

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